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Wenn die Putschisten in Niger nicht einlenken, werden die Ecowas-Staaten ihre Drohung umsetzen. Der Leitartikel.
Das diplomatische Tauziehen um den Militärputsch im Niger könnte sich in einen Krieg verwandeln. Lässt die Junta nicht bis Anfang nächster Woche wieder von der Macht ab, wird dem Staatenbund Ecowas kaum etwas anderes übrigbleiben, als seine Drohung einer Intervention wahrzumachen – sonst verliert das Bündnis mit einem Dutzend Präsidenten seine Glaubwürdigkeit.
Doch für den Fall eines ausländischen Einmarschs hat nicht nur die nigrische Junta einen „Krieg“ angekündigt. Auch die drei anderen vom Militär regierten westafrikanischen Staaten Mali, Burkina Faso und Guinea wollen sich dann an die Seite der Putschisten stellen. Die Folge könnte ein Regionalkrieg werden, wie ihn Westafrika noch nie erlebt hat.
Womöglich schätzte Nigers Juntachef General Abdourahamane Tchiani die Stimmung falsch ein. Nach den Staatsstreichen in Mali, Guinea und Burkina Faso hatte Ecowas lediglich die obligatorischen Strafen erlassen. Die Mitgliedschaft der Putschländer im Staatenbund suspendiert und mehr oder weniger harte Sanktionen gegen sie erlassen. In keinem der Fälle drohte Ecowas mit einer Invasion.
Doch inzwischen hat sich etwas Entscheidendes geändert. In Nigeria wurde Bola Tinubu Anfang des Jahres zum Präsidenten gewählt und im Juli übernahm er den Vorsitz des Staatenbunds. Der 71-Jährige war in den 1990er-Jahren als Demokratieaktivist vom nigerianischen Militärdiktator Sani Abacha in den Kerker geworfen worden. Seine Sympathie für Putschisten ist seitdem begrenzt. Schon bei seiner Antrittsrede als Ecowas-Chef machte er deutlich, ein weiterer Coup in der Region werde nicht geduldet. Ist seine Drohung mit einer Militärinvasion ein Bluff? Keineswegs. Wird der vierte westafrikanische Putsch innerhalb von drei Jahren nicht wieder rückgängig gemacht, würden sich die Militärs in den anderen elf Ecowas-Staaten ermuntert fühlen.
Tchiani hatte als Grund für seinen Coup eine sich verschlechternde Sicherheitslage und ökonomischen Stillstand angegeben. Doch in Wahrheit wurde dem Niger für dieses Jahr sieben Prozent Wachstum prognostiziert. Und die Zahl der Opfer extremistischer Überfälle ging – im Gegensatz zu den Militärdiktaturen in Mali und Burkina Faso – im Niger zurück.
Tchiani als Chef der Präsidentengarde hatte wohl eher befürchtet, durch Präsident Mohamed Bazoum abgesägt zu werden – ähnlich wie sein Mitverschwörer Salifou Modi, der bereits drei Monaten vorher als Streitkräftechef abgesetzt wurde.
Wenn man nur wüsste, was die Nigrer und Nigrerinnen von dem Umsturz halten. Sie hatten Bazoum vor zwei Jahren mit 52 Prozent zum Präsidenten gewählt. Gleich nach dem Coup gingen einige von ihnen auf die Straße, um gegen den Umsturz zu protestieren. Sie wurden von den Putschisten mit Schüssen vertrieben. Seitdem geht nur noch die Gegenseite auf die Straße, um den Generälen ihre Sympathie und der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich ihren Hass auszudrücken.
Nun kann man Menschenmengen (nicht nur) in Afrika günstig mieten. Die tatsächliche Stimmung im Land bleibt angesichts mangelnder Ausdrucksmöglichkeiten und Meinungsumfragen leider ein Rätsel. Den Putschisten wird es leicht fallen, die Bevölkerung mit der drohenden ausländischen Intervention noch weiter anzustacheln – leichter als Bola Tinubu die Mobilisierung einer multinationalen Eingreiftruppe fallen wird.
Die Regierungen frankophoner Staaten wollen nicht als Verteidiger französischer Interessen im Niger dargestellt werden, Länder wie Sierra Leone oder Liberia haben andere Prioritäten. Nigerias Präsident wird also auf die eigenen Truppen angewiesen sein: Immerhin mehr als 230 000 Soldaten, denen 5200 uniformierte Nigrer gegenüberstehen.
Dass es tatsächlich zu diesem Ernstfall kommt, ist allerdings noch längst nicht ausgemacht. Und gewiss wird die Invasion nicht eine Minute nach Ablauf des Ultimatums am Montag stattfinden. In der Zwischenzeit bleibt die Hoffnung, dass schließlich doch die Diplomatie und die bereits erlassenen Sanktionen etwas bewirken.
Nachdem Nigeria den Strom abgeschaltet hat, ist es im Sahelstaat bereits dunkel geworden. Gleichzeitig reiste eine Ecowas-Delegation zu Gesprächen nach Niamey – unter Führung des nigerianischen Ex-Präsidenten und Ex-Generals Abdulsalami Abubakar.
Der ehemalige Streitkräftechef war nach dem Tod des Militärdiktators Sani Abacha 1998 an die Macht gekommen – gab diese allerdings schon ein Jahr später an die erste gewählte Regierung seit Jahrzehnten ab. Tinubu hofft, der Emissär könne seinen nigrischen Kollegen etwas von seiner Weisheit vermitteln: Sollte es ihm nicht gelingen, muss der nigerianische Präsident mit seiner Invasionsdrohung Ernst machen. Denn anders ist die ansteckende Machtgier der westafrikanischen Generäle dann offensichtlich nicht zu stoppen.
Author: Joseph Blair
Last Updated: 1703145721
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