Die Kurden als ethnische und sprachliche Gruppe
Die rund 25 bis 27 Millionen Kurden leben in einem Gebiet, das sich über mehrere Staaten der Region verteilt. Die größte Gruppe - rund die Hälfte der Kurden insgesamt - lebt in der Türkei. Die zweitgrößte Gruppe bilden mit rund 5,7 Millionen Angehörigen die im Iran lebenden Kurden. Vier Millionen Kurden leben im Irak, gut eine Million in Syrien, weitere 700.000 in Europa.
Die Sprache der Kurden gliedert sich in mehrere Dialekte. Der am weitesten verbreitete ist das Kurmandschi. Es wird in der Türkei, in Syrien, im Libanon, im nördlichen Irak und in Armenien gesprochen. Sorani wird im übrigen Irak und im Iran gesprochen. Ein weniger verbreiteter Dialekt ist Zazaki, dessen Sprecher vor allem im Osten der Türkei leben.
Allen Kurden gemeinsam ist das Gefühl, zu einer gemeinsamen ethnischen Gruppe zu gehören. Der Begriff "Kurdiyeti" - ungefähr übersetzbar mit "zu den Kurden gehörig" - drückt dieses Gemeinschaftsgefühl aus.
Der vergebliche Traum vom eigenen Staat
Nach Ende des Ersten Weltkriegs schien es so, als erhielten auch die Kurden auf dem Gebiet des zusammengebrochenen Osmanischen Reiches einen eigenen Staat. Dies sah indirekt das "Vierzehn-Punkte-Programm" von US-Präsident Woodrow Wilson vor: Er gestand auch den nicht-türkischen Minderheiten des Reichs eine "autonome Entwicklung" zu. Tatsächlich wurden den Kurden im Vertrag von Sèvres (August 1920) ein unabhängiger Staat in Aussicht gestellt. Doch die verschiedenen Vorstellungen, die die Kurden vom Charakter dieses Staates hatten - sie stritten etwa darüber, ob er einen säkularen oder einen religiösen Charakter haben sollte - brachte Briten und Franzosen dazu, zu dem neuen Gebilde auf Distanz zu gehen. Zudem sahen sich viele Kurden als Teil der muslimischen Gemeinschaft und wollte daher dem weiterhin existierenden Kalifat verbunden sein. Im Vertrag von Lausanne (Juli 1923) wurden die Kurden dann nicht mehr erwähnt - ebenso wenig der Gedanke an Autonomie, geschweige denn der an einen eigenen Staat.
Der Begriff "Kurdistan"
Um dieses Wort gibt es immer wieder Streit. Während kurdische Nationalisten es immer wieder im Sinne eines noch zu errichtenden Staates gebrauchen, gilt es den Regierungen der Staaten, in denen die Kurden siedeln, meist als unakzeptabler Kampfbegriff. Entsprechend wird es geleugnet, ignoriert oder sogar verboten. Hinzu kommt, dass es keine staatlich-politischen Einheit gibt, die sich mit diesem Begriff umreißen ließe. Insofern bezeichnet der Begriff vor allem das Siedlungsgebiet der Kurden.
Die Kurden in der Türkei
Ihren ersten Schlag führte die junge türkische Republik gegen die Kurden, als sie 1924 die religiösen Bildungseinrichtungen der Kurden schloss. Allerdings wurden ihnen wie auch den anderen Minderheiten erlaubt, weiter ihre Sprache zu sprechen. Ein Jahr zuvor hatte sich bereits eine erste Geheimbewegung - Azadi ("Freiheit") - gegründet. Sie organisierte nationalistischen Protest in religiösem Gewand. Daraus ging 1925 ein erster bewaffneter Aufstand hervor, der bis zur Mitte des Jahres niedergeschlagen wurde. Nach Jahrzehnten relativer Ruhe gründete sich Mitte der 1960er Jahre die "Demokratische Partei Türkisch-Kurdistans", die zunächst einem weltlichen, dann immer mehr einem religiösen Kurs folgte.
Zehn Jahre später traten verstärkt linke Gruppierungen auf den Plan. 1978 wurde die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) gegründet. Diese bedeutendste Partei der türkischen Kurden hat ihre Forderungen nach einem unabhängigen kurdischen Staat inzwischen gemäßigt und formuliert als Ziel eine "demokratischen Konföderalismus". Dennoch bekämpft ihr militärischer Arm die Türkei weiterhin, vor allem mit Terroranschlägen. Das finanziert die Partei bis heute über teils kriminelle Quellen wie etwa den Drogenschmuggel. Auch in den letzten Jahren fielen den Kämpfen zwischen PKK und türkischem Staat zahlreiche Menschen zum Opfer. Seinen harten, international kritisierten Umgang mit innenpolitischen Gegnern begründet Präsident Tayyip Recep Erdogan auch mit dem Kampf gegen die Kurden. Deren Aktivitäten, so sein Argument, gefährdeten die innere Sicherheit des Landes.
Die kurdische "Demokratische Partei der Völker" (HDP) schaffte 2015 dagegen den Sprung ins Parlament. Nach dem Putsch von 2017 wurden elf ihrer Abgeordneten verhaftet. Nachdem Kurden und Türken in den ersten Jahren der Präsidentschaft Erdogans zunächst auf Verständigung setzten, geht das türkische Militär insbesondere seit 2015 mit teils erheblicher Brutalität gegen die Kurden vor.
Die Kurden in Syrien
Sie siedeln vor allem im Nordosten des Landes. Nach der syrischen Unabhängigkeit 1946 besetzten die Kurden des Landes höchste Stellen im Militär. Ein Umdenken setzte, ausgelöst durch den Panarabismus, in den 1950er Jahren ein. Bald darauf wurden Führer kurdischer Parteien verhaftet. Einige der Verfolgten gingen in den Untergrund, wo sich eine Reihe neuer Organisationen und Parteien bildeten. In den folgenden Jahren nahm die Repression weiter zu. Die kurdische Sprache wurde nicht anerkannt, kurdische Bücher durften nicht gedruckt werden, es gab keine kurdischen Schulen.
In den frühen 1980er Jahren flohen Teile der PKK-Führung nach Syrien. Von dort aus organisierten sie den Terror gegen die Türkei. 1998 befahl Präsident Assad der PKK, ihre Vertretungen und Ausbildungslager zu schließen. 2003 wurde die Kurdische Partei der demokratischen Union (PYD) gegründet. Sie entwickelte sich zur bedeutendsten syrischen Kurdenpartei und tritt für eine Autonomie der Kurden ein. Nach ihrer Gründung schloss sie ein bis heute bestehendes Bündnis mit der PKK.
Der Feldzug gegen die YPG
Nach Ausbruch des Krieges in Syrien 2011 errichtete die PYD in drei Bezirken im Norden Syriens, in Afrin, Kobane und Cirize, eine autonome Verwaltung. Dazu trug ganz wesentlich ihr militärischer Arm bei, die Volksverteidigungseinheiten (YPG). Seitdem die YPG 2014 die Stadt Kobane gegen die Terrororganisation "Islamischer Staat" verteidigte, gilt sie westlichen Staaten als einer der wichtigsten Bündnispartner im Kampf gegen den dschihadistischen Terrorismus. Auch rettete sie viele Angehörige der Religionsgemeinschaft der Jesiden vor der Verfolgung durch den IS. Die internationale Anti-IS-Koalition rüstete die YPG massiv auf.
Da die militärische auch eine politische Aufwertung mit sich bringen würde, entschied sich die Türkei Mitte Januar, militärisch gegen die als "terroristische Organisation" bezeichnete YPG vorzugehen. Sie scheute sich nicht, für dieses Ziel auf das Gebiet eines anderen Staates, eben Syriens, vorzudringen. Über 300 kurdische Kämpfer wurden seitdem getötet. Auch zahlreiche Zivilisten starben.
Albtraum für Menschen in Afrin geht weiter
Der Feldzug gegen die syrischen Kurden ist für die Türkei außen- wie innenpolitisch riskant. Zum einen droht, wenn nicht ein Konflikt, so doch eine Entfremdung gegenüber den NATO-Verbündeten in Europa sowie den USA. Innenpolitisch könnten sich viele türkische Kurden mit denen in Syrien solidarisieren. So könnte es auch wieder zu Terror-Anschlägen in der Türkei kommen. Auch gegen Kritiker des Feldzugs geht die Regierung entschlossen vor. Mehrere Journalisten und Aktivisten wurden seit Beginn der Kämpfe wegen ihrer Äußerungen verhaftet.
Author: Mathew Williams
Last Updated: 1703198042
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